DREI SCHWESTERN. KEIN TSCHECHOW

Ein Geburtstagskaffeekränzchen frei nach Motiven von Anton Tschechows Drei Schwestern

 

Künstlerhof Schleusingen 

Premiere am 29. August 2009

 

mit Sylvia Dübel, Anja Fischer, Johanna Hofmann, Barbara Müller, Gabi Neumann und Beate Weigmann

Ausstattung Ensemble

Sechs Frauen zwischen 32 und 71 Jahren aus Schleusingen und Umgebung auf den Spuren von Anton Tschechow: Was haben die Themen seiner "Drei Schwestern" mit dem gegenwärtigen Leben in der thüringischen Provinz zu tun? Die Frage nach dem Hiersein und dem Gernehiersein, das Fantasieren über mögliche private und berufliche Perspektiven, die Überlegungen, ob das Leben in einer kleinen Stadt als Chance oder als Fluch zu begreifen ist: Tschechows Stück dient dabei als Gerüst, in das persönliche Lebenserfahrungen, Träume und Sehnsüchte gewoben werden, um einen dokumentarischen Theaterabend zu schaffen, der direkt mit Schleusingen, dem Umland und den Menschen hier zu tun hat.

 


Pressestimmen

 

Es fängt alles so fröhlich an. Und so ganz anders. Statt Bühne und Zuschauerreihen eine Geburtstagstafel mit buntenTellern, Luftschlangen, leiser Partymusik. Das Publikum im großen Saal des Künstlerhofes sitzt mittendrin, bekommt von den festlich gekleideten Laienschauspielerinnen Kaffee und Kuchen serviert, hört ihrem Geplauder zu. Und ist schon mittendrin im Doku-Theater, das Marc Lippuner, Regisseur und Stipendiat im Künstlerhof, inszeniert hat. Es ist mittendrin in Tschechows Stück "Drei Schwestern" in der Variante Schleusingen20NullNeun. Bei Tschechow heißen sie Olga, Mascha und Irina. Bei Lippuner gibt es sie im Doppelpack namens Barbara, Sylvia, Gabi, Anja, Beate und Johanna. Auf Letztere warten fünf Schwestern an der Geburtstagstafel. Für sie haben sie das Fest arrangiert, zu ihrem 71. Geburtstag! Und dass die Johanna aus Altendambach diesen tags zuvor wirklich feierte - bei der Generalprobe - das gehört eben auch zu diesem ungewöhnlichen Projekt. An der Festtafel entbrennt inzwischen eine Diskussion über das Klatschnest, indem wer einmal mit einem anderen als dem eigenen Mann über den Markt läuft, gleich fremdgeht . . . aus dem sie sich fortträumen, die Schwestern. Kofferpacken und weg aus der Provinz, so wie bei Tschechow - nach Moskau? "Ich war noch niemals in New York . . ." singen die Sechs. Aber wollen sie das wirklich? Weg aus der kleinbürgerlichen Enge und Spießigkeit? Unsere sechs Schwestern beginnen laut nachzudenken, erzählen ihre ganz persönlichen Lebensträume, erzählen von ihren Hoffnungen, Sehnsüchten, Enttäuschungen. Von dem, was sie hier hält. Sylvia, die ins Schwärmen kommt, wenn sie die Landschaft beschreibt, " . . die Wälder, das viele Grün" und dann die Familie, das "tolle Gefühl, Oma einer einjährigen Enkeltochter" zu sein. Gabi, die mit ihrem Mann nach der Wende aus dem "erzkatholischen Köln nach Gethles kam" und hier mit rheinländischer Frohnatur schnell Freunde gefunden hat und viel glücklicher ist als sie es in Köln je war. Johanna, die schon soviele Ortswechsel erlebte und für die Heimat dort ist, wo sie Familie hat und "Freunde, denen ich vertrauen kann". Sie ist jetzt in Altendambach angekommen und will dort bleiben. Da ist Anja mit ihrem Traum von Hollywood, der zwar nicht berufliche Realität geworden ist, aber den sie dennoch lebt - als Hobby im Kabarett und eben im Theater. Bewegt hört das Publikum von Barbaras Hoffnung, mit ihrem Mann gemeinsam alt werden zu können. Eine Hoffnung, die vor zehn Jahren von einer Minute zur anderen zerbrach. Und doch ließ sie sich nicht vom Schicksal nicht unterkriegen. Baute das Kabarett auf und ist stolz auf ihre zwei Söhne und fünf Enkeltöchter. Und da ist die Erzieherin Beate, Mutter von vier Kindern, seit 20 Jahren an der Gerhart-Hauptmann-Schule. Soviel hatte sie von ihrem Beruf erhofft, soviel Enttäuschungen erlebt, weil nur noch wichtig sei, dass die Kinder ihre Hausaufgaben machen. Atemlos hört das Publikum diesen Monologen zu. Es gehört was dazu, soviel von sich preis zu geben. Sechs Frauen und ein junger Regisseur, der aus der Großstadt in die Provinz kam, zogen die Zuhörer in ihren Bann. Nicht enden wollender Applaus, als das Stück zu Ende ist. Viele bleiben noch sitzen an der "Geburtstagstafel", plaudern. "Das war nicht Provinz. Er (Marc Lippuner - d. Red.) hat sie zu weltstädtischen Höhen geführt", sagt Helmut Kazimirek. "Ich glaube, viele haben kapiert: Tschechow heißt nicht, das hier ein alter Russe zelebriert wird." All jene, die am Freitag oder am Samstag die Aufführungen im Künstlerhof gesehen haben - leider war die Platzkapazität begrenzt - sind mit dem Gefühl nach Hause gegangen, etwas ganz Besonderes erlebt zu haben und mit dem Nachdenken über das Hiersein und das Gernehiersein.

_Freies Wort (Karin Schlütter), 31. August 2009